Claudia Grabarse           I         Zauberhafte Malerei

                                               

Woran liegt es, daß ein Bild so voll ist, daß es immer wieder anders wirkt,

wenn man es zu verschiedenen Zeiten anschaut?

Die Wirklichkeit der Malerei kommt mir vor wie ein Meer, in das ich

hineintauche und je nach dem Fokus, den ich benutze, erscheint es wilder,

leuchtender, sanfter oder stiller.

 

Der Geist taucht ein in ein flüssiges Land, in dem nichts greifbar definierbar

ungeheuer erklärlich ist. Was als fest, flüssig oder gasförmig gesehen wird,

ist jedesmal anders.

 

Ist diese flüssige Sonne da, die so feurig aus dem Meer steigt, etwas festes und

ist dieses breite milchige Mondlicht, das die harten Schatten macht

nur eine Lichtreflektion?

Der Wind, der es so schwer macht gegen ihn zu gehen, wie man sich auch stemmt,

ist der materiell oder immateriell? Und was ist mit den Sternschnuppen,

die nur fliegende Lichtfetzen eines zerschmelzenden oder zerberstenden

winzigen Materieklumpens sind, warum lösen sie Glück oder Wünsche aus?

 

Ist dieser feine Sandstrom, der durch die Hand rinnt und verweht etwas anderes

als die trägen klumpigen Massen des gleichen Materials, das an den Schuhen klebt?

Sind die harten beängstigenden Wellen, die im Sturm ans Schiff donnern vom

gleichen Schlag wie die Pfütze auf der Straße?

 

Wenn man Farbflecken als Landschaft sieht, ist das Bild sujethaft und erinnert

zum Beispiel an Sturm oder Wiesen, an samtiges oder wild windig fallendes.

Wenn man das gleiche Bild als Geisteszustand liest, kann es passieren,

daß es beunruhigend wirkt. Das gleiche Phänomen wirkt beunruhigend,

vulkanisch, brodelnd, zerissen.

Die Vorstellung, einen Sturm mit einer großen inneren Ruhe durch eine Glasscheibe

zu betrachten, ist ein Genuß. Die Vorstellung davon, dem Sturm im Äußeren

oder Inneren ausgeliefert zu sein, weniger.

 

Bilder sind für mich etwas sehr zauberhaftes, eine seltsame Wirklichkeit,

in der das, was gesehen wird, eine Symbiose eingeht mit dem, der es betrachtet.